Bundesverkehrswegeplan ist verfassungswidrig
Am 07.10.2021 wurde ein vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zum Bundesverkehrswegeplan (BVWP) veröffentlicht. Dieses Gutachten zeigt, dass der BVWP unions- und verfassungswidrig ist. Das Gutachten wurde durch die Rechtsanwältin Dr. Franziska Heß erstellt.
Das Gutachten bestätigt, dass sowohl der gesetzliche Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen 2030 aus dem Jahr 2016 als auch der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030, der dem Bedarfsplan zugrunde liegt, unions- und verfassungswidrig sind. Im Gutachten wird angeführt, dass der Bedarfsplan „wegen eines Verstoßes gegen die Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme der EU (SUP-Richtlinie) formell unionsrechtswidrig“ ist.
Verstöße gegen SUP-Richtlinien der EU und gegen das Klimaschutzgesetz
Aufgrund der Tatsache, dass die Richtlinie über die strategische Umweltprüfung (SUP-RL) nicht vorschriftsmäßig durchgeführt wurde, nämlich einen umfangreichen Umweltbericht zu der im EU-Recht vorgeschriebenen Umweltprüfung zu erstellen, begründet die Annahme, dass es sich beim Bedarfsplan um eine Rechtswidrigkeit handelt.
Im Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme steht dazu folgendes:
„Ist eine Umweltprüfung nach Artikel 3 Absatz 1 durchzuführen, so ist ein Umweltbericht zu erstellen; darin werden die voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen, die die Durchführung des Plans oder Programms auf die Umwelt hat, sowie vernünftige Alternativen, die die Ziele und den geographischen Anwendungsbereich des Plans oder Programms berücksichtigen, ermittelt, beschrieben und bewertet.“
Der vorliegende Umweltbericht wurde laut dem aktuellen Gutachten nicht ausreichend erstellt. Die Ermittlung der Treibhausgasemissionen, die von den über 1000 Straßenbauprojekten im Fernverkehr ausgestoßen werden würden sowie die Ziele des Pariser Klimaabkommens (2016) und die Vorgabe des Aktionsprogramms Klimaschutz (2014) wurden nicht ausreichend berücksichtigt. Das heißt, der Umweltbericht wurde nach veralteten Zielsetzungen erarbeitet. Das Pariser Klimaabkommen sieht eine Beschränkung der Erderwärmung von maximal 1,5 °C (bis 2100 im Vergleich zu vorindustrieller Zeit um 1850) vor, da eine weitere ungebremste CO2-Belastung auch die Erderwärmung ungebremst steigen lässt. Das Aktionsprogramm Klimaschutz legte dem Verkehrssektor eine CO2-Minderung von 7-10 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2020 auf.
BVWP und Bedarfsplan berücksichtigen zudem nicht die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes (KSG) § 13 Abs. 1 und 2, welche bei allen Maßnahmen von staatlicher Seite beachtet werden müssen und sind daher verfassungswidrig. Nach dieser rechtlichen Einschätzung steht nun zur Frage, ob der Bedarfsplan für einige Fernstraßenprojekte überhaupt noch verbindlich ist.
Absatz 1 besagt: „Die Träger öffentlicher Aufgaben haben bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck dieses Gesetzes und die zu seiner Erfüllung festgelegten Ziele zu berücksichtigen.“ und Absatz 2 : „Der Bund prüft bei der Planung, Auswahl und Durchführung von Investitionen und bei der Beschaffung, wie damit jeweils zum Erreichen der nationalen Klimaschutzziele nach § 3 beigetragen werden kann. Kommen mehrere
Realisierungsmöglichkeiten in Frage, dann ist in Abwägung mit anderen relevanten
Kriterien mit Bezug zum Ziel der jeweiligen Maßnahme solchen der Vorzug
zu geben, mit denen das Ziel der Minderung von Treibhausgasemissionen
über den gesamten Lebenszyklus der Maßnahme zu den geringsten Kosten erreicht
werden kann.“
Schon bei den Vorplanungen zum Planfeststellungsverfahren, wie Bedarf, Raumordnungsverfahren und Linienbestimmung zum Bau eines neues Straßenbauprojektes müssen der Klimaschutz und das Gebot der Klimaneutralität laut Bundesverfassungsgericht nachdrücklich berücksichtigt werden. Ein Straßenbauprojekt aus rein wirtschaftlichen Belangen erfüllt nicht die Vorgabe geltenden Rechts und ist zudem auch nicht mehr zeitgemäß.
Keine Erwägung von Alternativen zum Straßenbau und keine Vereinbarung mit dem Grundgesetz
Außerdem ermittelte Dr. Franziska Heß, dass der Bedarfsplan 2030 sowie der Bundesverkehrswegeplan keine Alternativmöglichkeiten in die Planungen einbezogen haben (z.B. Schiene, Wasserwege) und auch „umweltschonende Alternativen nicht untersucht wurden. Die Auswahl erfolgte fast ausschließlich aufgrund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, die individuelle Nutzervorteile z.B. durch in Geld bewerteten Zeitgewinnen berechnen.“. Dies zeigt, dass hier gegen Gesetze verstoßen wird.
Neben den Richtlinien der strategische Umweltprüfung, sind beide Pläne auch nicht mit dem Art. 20a des Grundgesetzes vereinbar: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“.
Vor dem Hintergrund der heranschnellenden Klimakrise muss auch im Sinne zukünftiger Generationen gehandelt und weitsichtig klimaneutral, umweltschützend und ressourcenschonend geplant und untersucht werden. Die Verantwortung gegenüber der Natur ist im Gesetz verankert und sollte somit auch für den BWVP rechtsverbindlich sein. Erst kürzlich beschloss der UN-Menschenrechtsrat, dass jeder Mensch ein Recht auf ein Leben in einer sauberen und gesunden Umwelt hat.
Erneute Prüfung des Bedarfsplans 2030 im Jahr 2022
Im Jahr 2022 wird der Bedarfsplan 2030 einer erneuten Prüfung unterzogen werden. In Hinblick auf die dringende Notwendigkeit den Klima- und Naturschutz sowie eine nachhaltige und CO2-einsparende Verkehrspolitik zu entwickeln und voranzutreiben, müssen diese Aspekte in der nächsten strategische Umweltprüfung (SUP) unbedingt berücksichtigt werden. Die Überarbeitung und Neubewertung muss sicherstellen, dass bei allen Bauvorhaben in der Infrastruktur die Treibhausgasemissionen komplett ermittelt, die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes und Pariser Klimaabkommen für Verkehr und Emissionen eingehalten sowie klima- und naturschonende Alternativen berücksichtigt werden. Die Treibhausgasemissionen müssen bis 2030 halbiert werden.
Fazit zum Gutachten des BUND
Dr. Franziska Heß kommt in ihrem Gutachten zu dem Schluss:
„Eine wirksame Öffentlichkeitsbeteiligung muss zur SUP durchgeführt werden, in
der Alternativen vorgeschlagen und alle vernünftigen Alternativen auch tatsächlich geprüft werden. Auf der Ebene der einzelnen Projekte müssen alle Planungen gestoppt werden, deren Bedarfsbegründung auf dem aktuellen Bedarfsplan beruhen oder zu denen Alternativen nicht ausreichend ermittelt, beschrieben und bewertet wurden.“
Auch der Sprecher des Bundesarbeitskreises Verkehr des BUND Werner Reh äußert sich zum Gutachten und sein Ansatz zur Problematik ist:
„Eine neue strategische Umweltprüfung (SUP) muss dabei die Klimawirkungen des Netzausbaus und der Einzelprojekte ermitteln sowie klima- und umweltverträglichere Alternativen prüfen. Das heißt, Verkehr muss massiv auf das Schienennetz sowie den Nah- und Radverkehr verlagert werden. Laut Klimaschutzgesetz müssen bei Projekten, die die CO2-Emissionen erhöhen, was bei größeren Straßen regelmäßig der Fall ist, die klimaschonenden Lösungen umgesetzt werden. Der BUND hat solch klimaschonende Alternativen zu Straßenneu- und Ausbauprojekten bei der BVWP-Projektanmeldung 2013, der Öffentlichkeitsbeteiligung im Frühjahr 2016 und der Bundestagsberatung im Herbst 2016 offiziell eingereicht. Bisher wurden sie alle ignoriert und überhaupt nicht behandelt."
Wie geht es nun weiter?
Laut dem BUND werden die Erkenntnisse aus dem Rechtsgutachten vom BUND an die Bundespolitik und dem neuen Verkehrsminister oder der neuen Verkehrsministerin herangeführt. Wenn sich in der zukünftigen Fernstraßenpolitik nichts Erkennbares ändern sollte, so wird geprüft, wie weiter vorgegangen wird.
Weiterführende Literatur:
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Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Strategischen Umweltprüfung (SUP), Art. 5 Abs. 1
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=celex%3A32001L0042
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Pariser Klimaabkommen von 2015
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Aktionsprogramm Klimaschutz von 2014
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Klimaschutzgesetz (KSG) § 13 Abs. 1 und 2
-
Art. 20a des Grundgesetzes
Das Rechtsgutachten wurde im Oktober 2021 von der Rechtsanwältin Dr. Franziska Heß (Kanzlei Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mdB – Würzburg/Leipzig/Hannover) erstellt. Die Pressemitteilung zum Gutachten ist am 07.10.2021 auf der Webseite des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erschienen.